«Mutig trete sie vor ihr Zelt und sage was sie zu sagen hat.» Das habe ich getan. Dies ist meine fünfzehnte und letzte Geschichte. Zur Feier des Tages werde ich heute Nacht einen Vulkan anzünden -– sprühendes Silber, gleissendes Gold.
Als ich mich, vor vielen Jahren schon, bedächtig dem grossen Findling auf der Anhöhe zwischen Erzingen und Degernau näherte, blendete mich eine lichtvolle Erscheinung und es durchzuckte mich der Gedanke: «Das ist das Himmlische Jerusalem.» Mein Kontrollgeist schimpfte auf der Stelle und maulte etwas von religiösem Wahn. Ich verdrängte, gut geübt in dieser «Kunst», das Erlebnis, wie auch, zu anderer Zeit, dasjenige mit meinen farbenfrohen handgewebten Handtüchern. In einem kurzen, sehr intensiven Wachtraum hatte ich diese zu Füssen eines riesigen, weissleuchtenden Berges gelegt. Die Gewebe strahlten jetzt ebenfalls in funkelnden Weisstönen. Es war eine Gabe, meine Gabe an das Allerhöchste. Und ich war glücklich. Und ich «vergass» wieder.
Stets im Bewusstsein behielt ich ein Bild meines Lebens. Um die zwanzig war ich und strudelte durch die Gezeiten des Erwachsenwerdens. Ich sah eine Maronitüte, genauer, ich stand in dieser Tüte, im Eingangsbereich, also auf der offenen Seite, und vor mir spiralte ein feiner Pfad in Richtung Spitze. Ich stand da, am Anfang, aber mein Bewusstsein flog vorwärts und ich konnte für einen kurzen Augenblick durch die winzig kleine Öffnung sehen. Ich sah Licht, für meine Augen fast unerträglich helles Licht, heller als dasjenige, das entstanden war, als unser Chemielehrer in einem Experiment Magnesium verbrannt hatte.
Es gibt einen Traum, der mich immer wieder «besucht» und den ich sehr liebe. Ich bin irgendwo mit Menschen zusammen (es ist nicht immer derselbe Ort). Dann fange ich an ganz leise zu summen, und dann immer lauter, eine einfache Klangfolge, und immer lauter, und die Klänge kommen nicht nur aus mir, es ist, als würden alle Welten singen, das ganze Universum, und wir alle sind Teil dieses Liedes. Dieser Traum ist so intensiv, dass es inzwischen mein heiliger Wille ist, inmitten meiner Mitmenschen so zu singen.
Während ich diese Geschichte schreibe, sehe ich immer wieder – und ebenso spüre ich es – ein sehr kleines Mädchen, das mich anschaut und ganz genau beobachtet, was ich schreibe und vor allem: ob ich nichts «vergesse». Eben hat es mir freundlich auf den linken Unterarm getippt. Und so schreibe ich auch dies – nämlich, dass ich mir dieses Singen zutraue, mehr noch, dass ich weiss, dass ich das kann – nicht nur im Traum, sondern hellwach, hier im praktischen Leben.
«Sperr’ Dich doch nicht so», lächelt das Kind. In mir löst sich ein Knoten. Ich atme sehr tief. Es fällt Gewicht von mir ab. Erleichtert nehme ich wahr: Ich habe eben einen Kampf gegen mich selbst beendet. Dem kleinen Mädchen sei Dank.
Ich stelle mir gerne und immer wieder vor, dass jedes Atom und jede Zelle ein Sonnensystem ist und jeder Kern eine strahlende Sonne. Einmal, als ich von den Hängen des Siblinger Schlossrandens über unser Dorf und die nähere und weitere Umgebung blickte, erstrahlten alle und alles in einem sanften, sehr kraftvollen goldenen Licht.
«Siehst Du, Du weisst es.»
Ich bin erschüttert. Ich erkenne, dass ich im tiefsten Grunde, im Innersten meines Herzens, seit jeher wusste und weiss: Alles Sein ist Leuchten.